Vegetarische Ernährung aus yogischer Sicht

9. April 2013
6. Vortrag in der Reihe „Mensch-Tier-Beziehung im Fokus“
Felicitas Gerull: „Vegetarische Ernährung aus yogischer Sicht“
Eine ganzheitliche Betrachtung von Ernährung, Ethik und Ökologie stellte die Buchholzer Yoga-Lehrerin und Prana-Heilerin Felicitas Gerull in der Vortragsreihe des Runden Tisches für Natur-, Umwelt- und Tierschutz Buchholz vor. Dabei stellt die Formulierung „aus yogischer Sicht“ diesen Weg in den Kontext hinduistischer, indischer Religion und Weltsicht.
Die yogische Sicht versteht den menschlichen Körper als Tempel und als eine von Geist geschaffene Form. Der Körper und die Ernährung sind also unmittelbar verknüpft mit anderen Elementen der religiösen Praxis wie Meditation und Reinigung.
Vor diesem Hintergrund standen die Ausführungen von Felicitas Gerull, in denen es zunächst um die Dreiteilung der Speisen in Rajas, Tamas und Sattva ging.
„Rajas“ sind Speisen, die dem Streben nach Genuss und Erregung dienen. Dazu gehören Kaffee und schwarzer Tee, Knoblauch, stark gewürzte Speisen, Fertiggerichte und Zucker sowie zuckerhaltige Speisen wie Limonaden. Sie stören oder zerstören das Gleichgewicht von Körper und Seele. So sind sie oft mit verantwortlich für akute Erkrankungen.
„Tamas“ sind Speisen wie Fleisch und Fisch, alle Drogen inklusive Alkohol, lange gekochte und abgepackte Lebensmittel, alle Speisen mit Konservierungsstoffen sowie Pilze. Sie sind absolut zu meiden, sie führen zu Depressionen und chronischen Erkrankungen.
„Sattva“ sind Speisen, die unverfälscht und sauber sind, sie sind vollwertig und leicht verdaulich. Dazu gehören Gemüse und Obst, solange es frisch und regional ist, Fruchtsäfte und Honig, Kräuter und Kräutertees.
Eine „sattvige“ Ernährung macht nach yogischer Überzeugung gelassen und ausgeglichen. Sie hilft, die Einheit der Welt zu verstehen ohne zu bewerten und versetzt damit in die Lage, an der Welt nicht zu verzweifeln.  Der Grundsatz ist dabei: „Lerne essen um zu leben – nicht leben um zu essen“. Damit ist beschrieben, dass heutzutage die Verführung allgegenwärtig ist, ein sinnleeres Leben mit Hilfe der Ersatzhandlung „Essen“ scheinbar anzufüllen, wobei nur körperlich „Fülle“ entsteht: Menschen werden immer übergewichtiger. Für andere erhält das Körperschema überwertige Bedeutung, Schlankheit wird zum Ideal und wird mit allen Mitteln angestrebt – ob mit Schlankheitspillen, Diäten oder um den Preis einer Essstörung.
Yogische Sicht geht davon aus, dass verschiedene Energien im Körper gespeichert werden. Dazu gehört auch Schmerzenergie, die in der Mast und im Töten von Schlachttieren gehäuft auftritt und im Schmerzkörper der Tiere gespeichert ist. Wenn wir Fleisch essen, nehmen wir diese „negative“ Energie auf und speichern sie unsererseits, was Reinigung und Balance stört. Außer diesen individuellen Auswirkungen hat Fleischkonsum weltweit auch ökologische Folgen, die aus yogischer, ganzheitlicher Sicht bedeutsam sind. Die Abholzung riesiger Regenwaldgebiete und Umwandlung zu Weideflächen bzw. zum Anbau von Mastviehfutter (Mais, Soja) und Palmöl gefährdet das Welt-Gleichgewicht.  Die Ernährung der Weltbevölkerung wäre bei der bestehenden Produktionsstufe möglich, wenn nicht ein Großteil der Pflanzen an Vieh verfüttert würde. Dadurch entsteht aber nur ein Bruchteil der Nahrung, die in Form von Fleisch verfügbar ist, als wenn Menschen die pflanzlichen Produkte unmittelbar für ihre Ernährung nutzen würden. Das „Hunger-Problem“ ist ein künstlich erzeugtes, tödliches Problem: es entsteht im Wesentlichen aus gewinnorientierter Verteilungsungleichheit und aus der Fleischwirtschaft.
Ausführlich ging Felicitas Gerull auf die Bestandteile gesunder Ernährung ein. Sie schilderte die wichtige Rolle von Ballaststoffen, die in vollwertiger Nahrung ausreichend enthalten, aber aus Fertigprodukten weitgehend entfernt sind.  Pflanzliche Proteine sind gesünder als die Protein-Bomben im Fleisch. Mehrfach ungesättigte Fettsäuren und essentielle Fette sind ungleich gesünder als z.B. in Fertigmahlzeiten häufig verwendete Industriefette. Kohlehydrate können  in Form von Rohzucker oder Fruchtzucker besser verarbeitet werden als die raffinierten Zucker, die in vielen Lebensmitteln massenweise verarbeitet sind (Ketchup, Cola, aber auch Brot usw.). Vitamine sind in der yogischen Ernährung in ausreichender Menge und Verteilung enthalten. Hervorragende Lebensmittel sind aus yogischer Sicht Kichererbsen in allen Zubereitungen, Sojabohnen und in unseren Breiten Lupinen und ihre Bohnen.
In der Diskussion zeigten sich unterschiedliche Einschätzungen in der Rolle der Ernährung, die in diesem Vortrag (wie im Titel angekündigt) sehr im Mittelpunkt stand. Die Einflüsse von Umwelt und Gesellschaft auf die Reinheit des Geistes, aber auch die Möglichkeiten der Einwirkung des Geistes auf materielle Verunreinigung der Welt bewerteten nicht alle Anwesenden gleich.  Gleichwohl herrschte Übereinstimmung, dass ein bewusster und zielgerichteter Umgang mit Einkauf und Zubereitung der Nahrung eine wesentliche Grundlage gesunden Lebens ist und außerdem schmeckt.
Felicitas Gerull betonte aber auch wiederholt, dass es keinen allgemeingültigen Katalog der richtigen Entscheidungen gibt, sondern dass jeder entsprechend seiner aktuellen Situation, seiner Geschichte und seiner geistigen und materiellen Spielräume die ihm/ihr gemäße Entscheidungen treffen muss. Insofern gibt es viele individuelle Wege zum Ziel. Um den Bezug zur Veranstaltungsreihe wieder aufzunehmen: es gibt keine Gründe, Tiere diese unsere Entscheidungen erleiden oder mit ihrem Leben zahlen zu lassen. Trotzdem gibt es auch Yogis, die mal Fleisch essen. Hauptsache, sie sind auf dem Weg.
(Ingo Engelmann)