Die Jagd – Segen oder Fluch?

4. Dezember 2012
2. Vortrag der Reihe „Mensch-Tier-Beziehung im Fokus“
„Die Jagd – Segen oder Fluch?“ (J.P. Wichmann, Hanstedt)
Die zweite Veranstaltung des Runden Tisches zum Thema „Mensch-Tier-Beziehung im Fokus“ beschäftigte sich mit der Jägerei. Hegeringleiter Wichmann aus Hanstedt stand Rede und Antwort in einem kontroversen Themenfeld.
Zunächst beschrieb er die Notwendigkeit, Tiere im Fall einer übermäßig wachsenden Population abzuschießen, damit das Gleichgewicht in der Natur nicht aus der Balance gerät. Die ungefähr 300.000 Jäger in Deutschland schießen in diesem Rahmen 50.000 Tonnen Wild pro Jahr, das als hochwertigstes Fleisch auf den Markt kommt. Die Tiere leben bis zum Abschuss in der Natur, sind gesund ernährt und unterliegen nur dem Stress, das zu ihrem Wildtierleben dazu gehört. Zudem seien Wildschweine extrem dickfellig und  viel weniger stressanfällig als das gezüchtete Hausschwein. Ethisch sehe er keine Probleme, jede Zeit schaffe sich ihre Ethik selbst, was früher ethisch zulässig war, sei heute verwerflich, und das werde sich sicher weiter entwickeln, so dass gültige ethische Aussagen nur zeitgeistig flüchtig seien. Zu verschiedenen Bereichen jägerischer Aktivität nahm Herr Wichmann distanziert Stellung: er fahre nicht ins Ausland, um dort möglichst Trophäen zu erjagen, die es hier nicht gibt – da fehle ihm die Beziehung zu dem Tier, daran sei er nicht interessiert. Er verzichte auch heute eher mal auf einen Schuss, weil er sich sage: “Diese Idylle mit diesen Tieren möchte ich nicht stören, lass sie mal laufen!“
Die von Herrn Wichmann offensiv gesuchte Diskussion mit den zwanzig Zuhörern zeigte eine Reihe kontroverser Betrachtungsweisen. Wiederholt tauchte dabei die Frage auf, welche Berechtigung und Begründung zum Töten von Tieren ethisch vertretbar sei. Herr Wichmann wies auf ein interessantes Detail hin: solange das Wildtier lebt, gehört es niemandem.  Erst wenn der Jäger es erlegt hat, geht es in sein Eigentum über. Könnte das nicht als Hinweis auf ein der Jägerei innewohnendes Macht- und Aneignungsstreben verstanden werden? Solche psychologischen Betrachtungen sind natürlich in der Jägerei nicht alltäglich und es gab hier keine Annäherung der Positionen. Der Aspekt der Umkehrbarkeit („was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu“ – Volksmund) spielte eine Rolle: warum ist es verwerflich, dass Wildschweine Gärten umpflügen – aber wir können sie umgekehrt abschießen, weil sie zu viele geworden sind? Es war unbestritten, dass man Landwirtschaft und Jägerei als miteinander eng verknüpfte Systeme verstehen muss: der verstärkte Maisanbau begünstigt die Zunahme der Wildschweinpopulation, es kann nur eine von verschiedenen Optionen sein, dieser Zunahme durch Abschüsse zu begegnen. Wozu muss dieser Maisanbau sein?  Welche Beeinflussungen muss das Wild durch gentechnisch verändertes Pflanzengut oder andere chemische Spritz- und Düngestoffe hinnehmen?
Einigkeit bestand darin : es ist ein interessantes und komplexes Thema, in dem Ideologien nichts zu suchen haben – ganz gleich, ob sie von Tierschützern oder von Jägern stammen. Bei dieser Veranstaltung lag die Ideologielastigkeit auf seiten des Jägers, der keinen Zugang fand zu dem Standpunkt, Tötung müsse hinterfragt werden. Das passte nicht in sein Weltbild.
(Ingo Engelmann)

Nachtrag:
Sowohl die Veranstaltung als auch der Bericht wurden beim Runden Tisch kontrovers diskutiert. Um sich ein eigenes Bild auch von Jäger-kritischen Aspekten machen zu können, hier einige Internet-links:
http://jagdkritik.ch/unsinn-der-jagd/jagereien/833-genf-s-wildtiere-leben-gut-ohne-die-jagd.html
http://albert-schweitzer-stiftung.de/tierschutzinfos/tiervideos/jagdkritik
http://www.abschaffung-der-jagd.de/jaegerluegen/index.html
http://www.abschaffung-der-jagd.de/plaintext/fakten/studiegegenwildschweinjagd/index.html
http://www.tierrechte.de/images/stories/Infomaterial/100014.pdf