5. März 2013
5. Vortrag und Diskussion in der Reihe „Mensch-Tier-Beziehung im Fokus“
Sonja Heiermann: „Vegan – eine Frage der Logik“
Der Runde Tisch für Natur-, Umwelt- und Tierschutz in Buchholz hat mit seiner Veranstaltungsreihe „Mensch-Tier-Beziehung im Fokus“ eine überraschende Kontinuität geschaffen. Zur fünften Veranstaltung waren erneut über 30 Interessierte in den Bio-Supermarkt Aleco gekommen. Die Veganerin Sonja Heiermann, im zivilen Beruf Sängerin und Gesangslehrerin, berichtete über vegane Lebensweise als logische Konsequenz:
- aus Nachdenken über die Umwelt und die Zukunft der Erde
- aus Beschäftigung mit dem eigenen Körper und seinem Wohlergehen
- aus ethischen und philosophischen Erwägungen
- aus Widerstand gegen Großkonzerne und deren Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur
- und aus verschiedenen weiteren Überlegungen.
Vegane Lebensweise verzichtet auf jedes Produkt, das aus Tiernutzung entstanden ist. Zentral gehört dazu natürlich der Verzehr von Fleisch (wie bei Vegetariern). Darüber hinaus werden aber auch Produkte aus der Tierhaltung gemieden: Eier, Milchprodukte (wie Yoghurt, Käse oder Milchspeiseeis), Honig, Leder und Wolle in Kleidungsstücken oder Möbelbezügen sowie Produkte, zu deren Entwicklung Tierversuche vorgenommen wurden. Die Liste lässt sich verlängern, man ahnt ja nicht, worin heutzutage alles tierische Produkte versteckt sind!
Das Vorurteil, vegane Ernährung sei langweilig und führe zu blassem und kränklichem Aussehen, ist heute durch wissenschaftliche Untersuchungen und lebendige Zeugenschaft quietschvergnügter Veganer widerlegt. Immer wieder wird kranken Menschen, bei denen verschiedene traditionelle medizinische Behandlungsmethoden versagen, ein Umsteigen auf vegane Ernährung geraten (auch von konservativen Medizinern).
Die Zukunft der Welt
Schon heute ist weltweit längst nicht überall die Versorgung mit sauberem Trinkwasser gewährleistet. Trotzdem werden Unmengen von sauberem Wasser in der Tiermast eingesetzt. Pro Kilo Lebensmittel wird bei der Fleischerzeugung zwischen zehn- und hundertmal so viel Wasser benötigt wie bei der Herstellung von Kartoffeln oder Getreide.
Die Tiermast belastet die Umwelt mit erheblichen Methanmengen. Der Treibhauseffekt wird durch die zunehmende Tiermast angeheizt. Der Landverbrauch z.B. in Südamerika ist immens, und für Tiermast und Sojaanbau (Tierfutter) werden Regenwälder abgeholzt. Die Konsequenzen der Tierproduktion für die Umwelt sind katastrophal. Wer nicht vegan lebt, fördert die Umweltzerstörung. Ist das vernünftig?
Der Blick auf die Evolution
Vielfach wird behauptet, der Mensch sei immer ein Fleischfresser gewesen und es sei unnatürlich, ihn nun auf den Verzehr von Gemüse und Obst beschränken zu wollen. Das stimmt nicht. Verschiedene Organmerkmale beim Menschen (z.B. die Länge des Darms) weisen darauf hin, dass der Mensch den Wiederkäuern nahesteht. Der menschliche Organismus kann kein Vitamin C synthetisieren – das können aber Raubtiere, die manchmal über längere Zeit keine pflanzlichen Ergänzungsnahrungsmittel finden und in diesen Phasen sich ihr Vitamin C selbst herstellen müssen. Und so weiter… viele Details sprechen dafür, dass es eine biologische Vorbestimmtheit des Menschen, Fleisch essen zu müssen, nicht gibt. Wir sind nicht gezwungen, Fleisch zu essen. Warum sollte es dann vernünftig sein?
Ethik und spirituelle Energie
Religiöse Grundsätze verboten früher das Töten auch von Tieren. Heute will das die Kirche zum Teil selbst nicht mehr wahrhaben. Der Paradies-Mythos versinnbildlicht in vielen Weltbildern ein friedliches Miteinander. Herrschaftsfreiheit ist ein wesentliches Moment vieler fortschrittlicher Geisteshaltungen. Die Herrschaft des Menschen über das Tier (nur mühsam gebändigt durch Bestimmungen des Tierschutzes) wiederholt und verschärft heute die Tragödien, die es in Sklavenhaltersystemen der vergangenen Jahrhunderte gegeben hat. Damals ging es Mensch gegen Mensch, heute Mensch gegen Tier. Auch diese Phase wird überwunden werden, wie das Zeitalter der Sklaverei – weil es vernünftig ist.
Lebhafte Diskussion
Der Vortrag von Sonja Heiermann regte eine lebhafte Diskussion an. Es ging um die Legitimation, in (meist längst nicht mehr existierenden) ausgewogenen Kreislaufsystemen Menschen in bestimmten Situationen berechtigt sein können, für ihren Bedarf ein Tier zu erlegen (Indianer und Bisons, Eskimos und Fische oder Robben). Diese Debatte bleibt aber recht akademisch, weil diese Sonderbedingungen selten gegeben sind – bei uns ganz sicher nicht. Es ging auch um den Holocaust-Vergleich: ist es zulässig, das Elend von Millionen und Abermillionen von getöteten Tieren mit Millionen von ermordeten Juden zu vergleichen? So wurde zu bedenken gegeben, dass man die Analogie zu KZs nicht allein mit der Menge betroffener Opfer (die Zahl der getöteten Tiere ist sogar noch viel höher) begründen kann. Der rassistische Hass auf ein bestimmtes Volk (und einige andere, kleinere Gruppen von politisch, sexuell oder religiös Verfolgten) hat ein eigenes Format, er ist nicht zu vergleichen mit dem zweckbestimmten Nutzen der Tiere (wozu man sie umbringt, um ihr Fleisch zu essen). Ob das eine schlimmer ist als das andere – darüber ist trefflich zu streiten. Aber es ist einfach anders.
Das bewegende Schlusswort der Veranstaltung sprach ein Teilnehmer, der auf den Rollstuhl angewiesen ist. Er berichtete, wie er durch vegane Lebensweise die Verschlechterung seiner Erkrankung aufhalten konnte. Wer weiß, wie es ihm heute gehen könnte, wenn er darüber früher informiert gewesen wäre. Aber gut, dass er jetzt vegan leben und diese Botschaft verbreiten kann.
Kommentar: Veganer brauchen sich nicht zu verstecken. Die Diskriminierung einer ethisch gut begründeten Lebensweise ist heute nicht mehr zu rechtfertigen. Und Veganer haben es nicht nötig, sich dauernd zu erklären oder gar zu entschuldigen.
Trotzdem gibt es immer wieder Anzeichen eines Erklärungsnotstandes. Die in der Regel hervorragend informierten Vertreter einer fleischfreien oder veganen Lebensweise können zahlreiche Fakten vortragen, die ihre Entscheidung begründen. Manche ihrer Argumente lassen alle Andersdenkenden oder –essenden alt aussehen. Trotzdem ist die überwiegende Mehrheit aller Verbraucher nicht vom Fleischkonsum abzubringen. Das verbittert manchen Gutmeinenden unter den Tierrechtlern und führt zu verstärkten Argumentationsbemühungen. Was dabei rauskommen kann, ist eine verzweifelt an ihrer erkannten Wahrheit festklebende relativ kleine Gruppe von Menschen, die den Zugang zum Denken, Fühlen und Handeln der überwältigenden Mehrheit verliert. Und das sind Kennzeichen einer Kleingruppe, die man gemeinhin als „Sekte“ bezeichnet. Wichtig bleibt in der Diskussion um den Lebenswandel (fleischfrei, fleischarm, frugan, vegan oder wie?), mit dem Anderen und seinen Grundsätzen respektvoll und tolerant umzugehen. Ob und wo Grenzen der Toleranz zu setzen sind, muss sehr vorsichtig und umsichtig diskutiert werden. Das ist eine Grundlage der Arbeit des Runden Tisches für Natur-, Umwelt- und Tierschutz Buchholz, der eine bunte Gruppe verschieden verorteter Menschen zusammenbringt und Vorreiter dieses Diskussionsprozesses ist..
(Ingo Engelmann)