Bio-Schlachter im Wettbewerb

8. Januar 2013
3. Vortrag der Reihe „Mensch-Tier-Beziehung im Fokus“
Referent: Bio-Schlachter Heino Cohrs
Die Beschäftigung mit verschiedenen Blickrichtungen auf das Verhältnis von Mensch und Tier wurde fortgesetzt mit dem Bio-Schlachter H. Cohrs, der unter anderem für Privatkunden und Bio-Höfe wie Wörme und Arpshof schlachtet. Der von der Familie seit Generationen geführte Schlachterladen musste geschlossen werden, als eine Fortführung mit Familienmitgliedern nicht mehr gewährleistet war.
Damit war Herr Cohrs schnell bei einem Problem der artgerechten Tierhaltung und –schlachtung angekommen. Die Bezahlung der qualifizierten Angestellten bei geringerer Stückzahl führt zu hohen Preisen und Bio kann sich oft gegenüber der Billig-Konkurrenz aus konventioneller Massentierhaltung und Großschlachthöfen zu behaupten. Diese Schieflage wird seit 2010 verschärft durch neue EU-Auflagen. Hygiene-Vorschriften wurden verschärft, selbst erfahrene Fachmänner wie Heino Cohrs mit Gesellen- und Meisterbrief (seit 1985) hätten eine neue Zulassung erwerben müssen und sich den neuen Vorschriften unterordnen. Diese sind aber ausgerichtet auf die Produktionsbedingungen der Agrarindustrie: die Desinfektion von Betrieben bis zur leblosen Sterilität macht nur „Sinn“, wenn man mit computergestützten Automaten eine möglichst lange haltbare Ware herstellen will (z.B. acht Tage haltbares Hackfleisch), das aber keine Bakterienkulturen mehr enthält, wie sie in traditioneller Fleisch- und Wurstherstellung gebraucht wird (z.B. zur Bindung in Bratwürsten sowie zur Geschmacksbildung). 10000 Kleinbetriebe haben seit Inkrafttreten dieser neuen EU-Richtlinien aufgeben müssen.
H. Cohrs stellt sich darauf ein, dass Tiere auch nach kurzem Transport (nach 15-20 Kilometer sind sie in der Regel bei ihm angekommen) zur Ruhe kommen müssen und eine Vertrauensatmosphäre entstehen muss, um das Tier schmerzfrei betäuben zu können. Nur wenn er davon überzeugt ist, nimmt er die eigentliche Tötung vor. Das unterscheidet diesen Vorgang von der Massentötung im Schlachthof, die von Mitarbeitern aus Billiglohnländern am Fließband erledigt wird. Dort gibt es keine Sicherheit, dass die geplanten Vorgänge (elektrischer Stromschlag, CO2-Vergasung) auch funktionieren – dass erschreckend vieleTieren nicht betäubt sind, wenn sie ins Säurebad kommen oder die Zerlegung beginnt, ist aus den Massenschlachthöfen bekannt.
Die Diskussion der 30 Zuhörer (vom theoriefesten Veganer bis zum Bio-Bauern mit Demeter-zertifizierter Tierzucht) bewegte sich vorwiegend in zwei Themenbereichen: wie können Bio-Höfe erhalten und gestützt werden, die eine wesentliche Bastion gegen die Lebensmittelindustrie und und die Agrar-Multis wie Monsanto sind? Und welche ethische Legitimation gibt es, Tiere zu töten – ob so brutal wie im Schlachthof oder so vertrauensvoll wie bei H. Cohrs?
Es gibt Bio-Firmen wie Demeter oder Neuland, die eigene Vorschriften für die Tötung von Tieren haben. Sie verfügen aber nicht über eigene Schlachthöfe, und die kleinen Betriebe (wie der von Herrn Cohrs) werden durch die EU-Richtlinien zerschlagen. Supermarktketten lassen das bei ihnen erhältliche Bio-Fleisch in konventioneller Schlachtung produzieren. Wer also den Bauern nicht kennt, wo das Tier aufwächst, und den Schlachtprozess nicht überblickt, der möglicherweise ganz gruselig und tierquälerisch ist, der sollte (so meinte ein Diskutant) dann doch ganz auf Fleisch verzichten. Ob es vorstellbar ist, eine vertretbare (was ist hier vertretbar??) Tötungspraxis in genossenschaftlich geführten Bio-Schlachthöfen zu installieren, konnte niemand wirklich ermessen. Kann man eine artgerecht tötende (??) Parallelstruktur neben der konventionellen tierverachtenden Fleischindustrie entwickeln? Hier sind Fragen an die Höfe und Bauern sowie die Bio-Verbände zu stellen. Bio-Fleisch aus Supermärkten wirkt meist wie ein Etikettenschwindel.
Entscheidend ist aber die grundsätzliche Frage danach, woher der Mensch überhaupt die Berechtigung nimmt, Tiere zu töten. Viele kennen aus den Erzählungen in der eigenen Familie (damals bei Oma) die Probleme, die auftreten, wenn ein vertraut gewordener Hase geschlachtet und auf den Tisch gebracht wird. Es gab aber in der Diskussion auch den Bauern, der sagt, ich kann überhaupt nur ein Tier essen, dessen Leben ich in intensiver Beziehung und Zuwendung begleitet habe. Wie ist das mit den Beziehungen zum Tier – den eigenen Hund würde ja auch der Bio-Schlachter nicht töten und verwursten? Wie ist das mit der Ausbeutung der Tierwelt – und auch der Pflanzenwelt, die ja zur Ernährung auch gezüchtet und  durch Essen vernichtet wird? Klar: die Weizen- und Sojaproduktion auf der Welt geht zu überwiegendem Teil in die Tiermast, wo aber ein um den Faktor zehn geringerer Ertrag an Nahrungsenergie daraus wird. Diese Pflanzen direkt in die Ernährung der hungernden Menschen zu leiten würde den Hunger beenden. Aber das ist nicht das Interesse der Großkonzerne (Monsanto möchte bis 2050 die Ernährung der Welt monopolistisch regieren). Wenn Weizen und Soja direkt in die Ernährung gehen, ohne den Umweg über die Tiermast zu nehmen, würde es für alle reichen – sogar wenn man die Pflanzen biologisch anbaut, und das ist nun gar nicht das Interesse der Biochemiekonzerne, die an ihren Genpatenten,  Pestiziden usw. verdienen wollen (und von der EU unterstützt auf diesem Weg immer weiter vorankommen). Auch darauf wurde in der Diskussion zu Recht verwiesen.
Viele Fragen, sehr auseinanderdriftende Positionen (zum Teil kaum versöhnbar), aber trotzdem ein angeregtes Gespräch und ein sachlicher, zurückhaltender Referent in einem schwierigen Kontext: die dritte Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Mensch-Tier-Beziehung im Fokus“  zeigte einen Weg, wie die notwendige Diskussion geführt werden kann.
(Ingo Engelmann)