Wenn Reiter gewinnen und Pferde verlieren – die hässliche Seite des kleinen und großen Turniersports

4. Juni 2013
8. Vortrag in der Reihe „Mensch-Tier-Beziehung im Fokus“
Regina Rheinwald: „Wenn Reiter gewinnen und Pferde verlieren – die hässliche Seite des kleinen und großen Turniersports“
Die Referentin, selbst früher Turnierreiterin, hatte einen eigenen Reitstall und unterrichtet als Reitlehrerin. Sie arbeitet außerdem als Verhaltenstherapeutin für Pferde.  Sie ist Autorin mehrerer Fachbücher zum Thema Pferde.
Am Beginn ihres Vortrags wies Frau Rheinwald darauf hin, dass Im Reitsport die Partnerschaft zwischen Mensch und Pferd vertieft werden kann und insbesondere in der Dressur zu einer Art gemeinsamen Tanzes führen kann, in dem keine Bewegungsabläufe vorkommen, die dem Pferd nicht aus dem Alltag bekannt wären. Diese Art von Partnerschaft ist wesentlich und erstrebenswert – gleichwohl ist das Pferd aufgrund seiner Anatomie (speziell aufgrund des langen Rückens) eigentlich nicht besonders gut geeignet, Reiter zu tragen. Darauf muss man Rücksicht nehmen.
Im weiteren Verlauf ihres Vortrags schilderte Frau Rheinwald missbräuchliche Nutzungen des Pferdes im aktuellen Dressur- und Turniersport, die leider nach ihren Beobachtungen so zugenommen haben, dass sie keine Ausnahmen mehr sind, sondern die Regel auf dem Turnierplatz. Beispielhaft nannte sie die Benutzung der Sporen sowie von speziellen Trensengeschirren oder der Kandare.
Sporen soll dem Reiter die Möglichkeit geben, in besonderen Situationen dem Pferd deutlichere Signale zu geben und dazu mit der Spore den Bauch des Pferdes zu „streicheln“. Dazu muss man gut reiten können, sonst sind die Sporen nur schwer pferdegerecht einzusetzen. Hier passt der Spruch: Man muss sich „seine Sporen erst verdienen“. Heute tragen aber schon Jugendliche und fast alle erwachsenen Reiter Sporen, und sie verletzen damit die Pferde nicht selten erheblich, Blutige und vernarbte Verletzungen am Bauch sind daher keine Ausnahme, werden aber nur selten von Turnierrichtern oder Tierärzten moniert.
An dieser Stelle des Vortrags erhob sich Widerspruch besonders bei einer Zuhörerin, die die Nutzung von Sporen für notwendig erachtete, besonders bei rossigen Stuten . Sie schilderte die Einstellbedingungen auf ihrem offenbar gut ausgestatteten Hof mit großen Weideflächen. Die Argumentation von Frau Rheinwald, die Mutmaßungen über die möglicherwiese zu fetten Weideflächen anstellte, konnte die Zuhörerin nicht stehenlassen und verließ unter Protest den Raum. Die Hinweise von Frau Rheinwald waren allerdings wichtig, wenn auch zu oft unbeachtet: zu üppige Weideflächen rufen Eiweißüberschüsse beim Pferd hervor und können es träge machen, sind also nicht pferdegerecht (auch wenn das üppige Grün so freundlich wirkt).
Frau Rheinwald schilderte nun die Entwicklung des Zaumzeugs mit Trense und Kandare, die schwerpunktmäßig militärische Ziele verfolgte. Spezielle Riemen sollten die Pferde im ersten Weltkrieg vor den massenhaften Verletzungen schützen, die sich zuzogen, wenn sie auf ihre Schnauze stürzten. Die dabei häufig auftretenden Kieferbrüche konnten durch das „Maul-Zubinden“ tatsächlich drastisch reduziert werden. In unseren heutigen friedlichen Zeiten ist es allerdings überflüssig und quält Pferde ohne jeden Sinn. Die Kandare drückt gegen den Gaumen des Pferdes, und dieses kann dann seinen eigenen Speichel nicht gut „abschlucken“.
Besonders bei Benutzung einer Kandare muss man extrem gut reiten können, um das Pferd nicht unnötig zu quälen. Dieses Zaumzeug ermöglicht eine erhebliche Hebelwirkung, die das Pferd auffordern soll, sich noch besser zu „versammeln“ (damit ist eine aufgerichtete „stolze“ Haltung und Bewegung  des Pferdes gemeint). Die Kandare kann missbraucht werden, um mit größerer Wirkung einen Stil des „Kraftreitens“ zu kultivieren, der heute immer häufiger wird. Kandaren zu schnallen ist gar nicht so einfach, aber Turnierrichter „übersehen“ oft falsch geschnallte Kandaren.
Besonders kritisch setzte sich Frau Rheinwald mit der „Rollkur“ auseinander. Dabei wird ein Pferd durch extremen Einsatz von Zaumzeug und Zügel gezwungen, ion schnellem Lauf den Kopf auf die Brust zu senken. Das Blickfeld des Pferdes ist eingeengt, was es sehr ängstigt, und Gelenkkapseln können reißen. Das Pferd wird durch diese „Übung“ darauf abgerichtet, auch ohne diese im Training eingesetzten Instrumente bei der „Vorführung“ den Kopf gesenkt zu halten und nicht aufzumucken. Es handelt sich um reines Abrichten statt um Dressurreiten, und der Gedanke der Partnerschaft zwischen Mensch und Pferd geht dabei völlig verloren. In der Western-Reiterei gibt es häufig Pferde, die auf diese Weise eingeschüchtert werden und dann mit lockerem Zügel vorgeführt werden können. Das ist dann cool.
Ein ausgesprochen lebhaftes Gespräch mit Frau Rheinwald drehte sich um die Möglichkeiten, Reiterei mit artgerechtem Umgang zu verbinden. Einzelne Teilnehmerinnen hatten sich entschieden, aufgrund der für das Pferd nicht wirklich angenehmen Aufgabe, eine Reiterin zu tragen, das Reiten ganz aufzugeben. Es wurde in Frage gestellt, ob es wirklich pferdegerechte Möglichkeiten des Reitens gibt – oder ob nicht letztendlich immer das „egoistisch“ menschliche Bedürfnis ausschlaggebend ist, gern reiten zu wollen. So weit gingen andere nicht, wenngleich sie die Dringlichkeit betonten, dem Pferd und der gemeinsamen Beziehung mehr Zeit zu lassen. Gute Ausbildung des Reiters ist die Grundlage für viele reiterlichen Vorhaben, und selbst das Führen eines Pferdes will sorgfältig gelernt sein. Die Bedürfnisse des Pferdes müssen vorrangig beachtet werden: nach einem Turnier sollte der Reiter sein Pferd am Zügel auf die Weide führen und dort bei ihm sein, damit es sich wieder „runter  fahren“ kann. Viele sperren das Tier aber sofort in den Trailer und gehen erst mal essen. Die Reiterei ermöglicht zu schnell und zu unreflektiert Macht über ein Tier auszuüben.
Die Gruppendynamik im Reitstall tut ein Übriges, das sich Unsitten schnell verbreiten und zur Modewelle werden. Darüber mit Reitern zu sprechen ist schwer, wie der zwischenzeitige Disput mit der verärgerten Reiterin an diesem Abend gezeigt hatte. Nach ihrem Weggang war es aber auch möglich, mit den verbliebenen Reitern (ca. ein Dutzend, neben einem Dutzend reitunkundigen Zuhörern) in einen konstruktiven Dialog zu kommen. Frau Rheinwald trug dazu mit ihrem Humor und ihrem Engagement wesentlich bei. Nicht alle Probleme konnten erörtert werden: was ist mit den Hufen –  braucht man immer Eisen? Wie sieht es mit dem Sattel aus? Usw. Aber auch die nicht reitenden Zuhörer werden einem Turnier (ob live oder im Fernsehen) künftig mit anderen Augen folgen (oder es ganz sein lassen).
Weitere Informationen über die Referentin sowie die angesprochenen Themen: www.pferdeverhalten.de
(Ingo Engelmann)