Über 50 Buchholzer hatten sich in der Buchhandlung Heymann eingefunden, um der Journalistin und Autorin Hilal Sezgin zuzuhören. Diese las zunächst aus ihrem neuesten Buch „Artgerecht ist nur die Freiheit – Eine Ethik für Tiere oder warum wir umdenken müssen“. Die anschließende Diskussion dauerte länger – praktische Nachfragen und grundsätzliche Kommentare waren zahlreich. Worum ging es?
Frau Sezgin hat Philosophie studiert und schafft eine Verknüpfung von handfestem Erfahrungswissen (seit acht Jahren lebt sie in der Lüneburger Heide mit Schafen, Gänsen und Hühnern zusammen), und ethischen Überlegungen (rationale und emotionale Aspekte des In-Verantwortung-Seins). Ein Ausgangspunkt ist: so wie es Rassismus unter Menschen gibt, so kann man auch die Unterdrückung der Tiere als rassistisches Verhalten verstehen. Da werden Wesen unterdrückt, weil sie anders sind. Natürlich sind Tiere nicht wie wir, fühlen nicht wie ich oder du, nehmen anders wahr. Wie soll ein Mensch sich hineinfühlen und -denken in die Welt einer Fledermaus, die sich per Echolot orientiert? Wie soll man nachempfinden, wie ein Biber sich fühlt, wenn er Dämme baut und Flüsse staut (selbst wenn man wie Frau Sezgin als Kind mit Hingabe Bäche gestaut hat)? Natürlich sind Tiere anders. Aber in ihrer Fledermaus- oder Biber-Welt gibt es ebenso ein Wohlsein wie bei uns Menschen. Diese gleichen Rechte und Möglichkeiten zu propagieren, hat nichts zu tun mit der falschen Vermenschlichung von Tieren („Sie leiden und lieben wie wir“… na ja).
Dieses jeweils eigene Wohlsein einer Tierart wird von uns Menschen konsequent, nachhaltig und mit großer Brutalität zerstört. Kinder werden von den Müttern getrennt (Milchkühe) oder lernen diese gar nicht erst kennen (Küken). Bindungen werden ignoriert oder verhindert (bei Menschen endet das im kaspar-Hauser-Syndrom, bei Tieren ist es Alltag). Durchschnittlich fünfhundert Mal ruft ein Kälbchen am ersten Tag nach der Trennung von seiner Mutter nach ihr. Muss sein, wenn man Milch verkaufen will, auch auf Bio-Höfen. Frau Sezgin wurde zur Veganerin, nachdem ihr dies sehr augenfällig klar geworden war: Bio ist keine Alternative für die Kälbchen. So raffiniert auch die „Abtrennverfahren“ sind, mit denen kleinere Schritte zur Verwaisung des Kälbchens konzipiert werden, es bleibt im Kern das gleiche Prinzip: die Geburt des Kälbchens geschieht einzig, um die Mutterkuh zur Milchproduktion zu bringen.
Frau Sezgin zeigte auf, dass alle Tiere in Mast und Zucht einem vorschnellen Tod zustreben, und dass sie unfrei leben. Das sind die Kriterien von Sklaverei. Der Umfang dieser Katastrophe ist kaum vorstellbar: es werden in anderthalb Jahren weltweit so viele Tiere geschlachtet, wie überhaupt jemals Menschen auf der Erde gelebt haben. Seit der Steinzeit gab es ungefähr 65 Milliarden Menschen.
Sie betonte aber auch, dass es nicht nur um das Essen der Tiere geht (was unterscheidet denn das Tiere essen von dem tabuisierten Kannibalismus?), sondern auch um ein Ende der bedingungslosen Ausbeutung. Es geht letztlich um eine Frage der Herrschaft. Herrschaftsfreie Zustände sind schwer vorstellbar – aber eine wichtige Zielvision. Hier mündet vegane Lebensweise in politische Aktion. Beides ist nicht wirklich auf Dauer vorneinander zu trennen.
In der Diskussion ging es um vegane Ernährung oder artgerechte Haltung von Hunden oder Pferden, um Zusatzstoffe wegen möglicher Mangelerscheinungen bei veganer Lebensweise und ähnliche handfeste Fagestellungern. Es ging aber auch um grundsätzliche Gedanken. Wenn Tieren ihr jeweils eigenes Wohlsein zugestanden wird, wie steht es dann mit Pflanzen? Und wie soll man es bewerten, dass durch Gentechnik oder industrielle Bewirtschaftung riesiger Agrarwüsten auch Pflanzen unterdrückt werden, missbraucht oder zerstört? Viele meinten, es bedürfe einer neuen Ethik, um sowohl tierischen als auch pflanzlichen Bewohnern unserer Welt ihre Rechte zu sichern. Andere fanden solche Überlegungen zu esoterisch. Viel Diskussionsbedarf, dem sich Frau Sezgin nicht immer in der gewünschten Weise gewachsen zeigte.